Team als Verantwortungseinheit

Warum Produktentwicklung kein Übergabespiel ist

In vielen Unternehmen funktioniert Produktentwicklung wie ein Staffellauf. Eine Idee wird im Management geboren, im Fachbereich konkretisiert, an das Produktteam übergeben, dort geplant, umgesetzt, getestet, released. Jeder Schritt ist sauber dokumentiert, jeder Übergabepunkt klar geregelt – und doch fehlt am Ende oft das, was wirklich zählt: Verantwortung für das Ergebnis.

Wenn Verantwortung im System verloren geht

Marty Cagan beschreibt in Inspired sehr deutlich, wie dieses Modell dazu führt, dass zwar viel gearbeitet, aber wenig Wirkung erzielt wird. Nicht weil die Menschen schlecht wären. Sondern weil das System ihnen keine echte Verantwortung erlaubt.

„In den meisten Unternehmen haben die Teams keine Chance, ein erfolgreiches Produkt zu liefern – weil sie gar nicht verantwortlich sind für den Erfolg.“

Diese Aussage ist unbequem. Aber sie ist zentral. Wer ein digitales Produkt wirklich zum Leben bringen will, braucht mehr als ein gutes Briefing. Er braucht ein Team, das versteht, entscheidet – und die Verantwortung dafür trägt, ob das, was entsteht, auch funktioniert.

Empowerment ist kein Wohlfühlwort

Cagan unterscheidet scharf zwischen „Lieferteams“ und „Produktteams“. Lieferteams arbeiten Anforderungen ab. Sie liefern das, was beauftragt wurde – effizient, korrekt, ohne Rückfragen. Produktteams dagegen tragen Verantwortung für Wirkung. Sie definieren das Problem, entwickeln Lösungsansätze, validieren Hypothesen, treffen Entscheidungen – gemeinsam mit UX und Engineering.

Diese Art von Zusammenarbeit ist kein nettes Extra, sondern Voraussetzung dafür, dass gute Produkte entstehen können. Denn in einer Welt voller Unsicherheit, wechselnder Anforderungen und komplexer Nutzerbedürfnisse ist Delegation an ein externes Entscheidungsgremium keine Lösung – sondern ein Risiko.

„Die besten Produktteams sind crossfunktional, befähigt und in der Lage, messbare Ergebnisse zu verantworten.“

Empowerment bedeutet nicht, dass Teams alles dürfen. Es bedeutet, dass sie die Bedingungen bekommen, um verantwortungsvoll entscheiden zu können.

Vertrauen ist der Engpass – nicht Kompetenz

Cagan schreibt sehr klar: Die meisten Produktteams wären in der Lage, grossartige Arbeit zu leisten – wenn man sie liesse. Wenn sie früh in Probleme eingebunden würden. Wenn sie direkt mit Kund:innen sprechen dürften. Wenn sie nicht über Backlogs gesteuert würden, sondern über Ziele.

Doch genau hier scheitert es oft: Es fehlt nicht an Können, sondern an Vertrauen. Vertrauen in die Fähigkeit des Teams, unternehmerisch zu denken. Vertrauen in die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Und Vertrauen in die Kraft von Klarheit statt Kontrolle.

Dabei ist es gerade dieses Vertrauen, das aus einem Ausführungsteam ein Produktteam macht. Nicht blindes Vertrauen – sondern strukturell verankerte Verantwortung, gepaart mit einer Vision und einem Rahmen, in dem Entscheidungen gemeinsam getroffen werden.

Produktentwicklung ist ein Denksport, kein Befehlsempfang

Ein gutes Produkt entsteht nicht am Reissbrett. Es entsteht im Dialog. Zwischen Perspektiven, Disziplinen, Zielbildern. Und es entsteht nur, wenn das Team nicht damit beschäftigt ist, Anforderungen zu interpretieren, sondern Probleme zu lösen.

„Ein echtes Produktteam wird nicht gefragt: Wie schnell könnt ihr das liefern? Sondern: Was müssen wir tun, um dieses Ziel zu erreichen?“

Diese Frage verändert alles. Sie verschiebt den Fokus – weg von Zeit und Budget, hin zu Wirkung und Verantwortung. Und sie bringt genau die Haltung ins Spiel, die gute digitale Produkte auszeichnet: Denken. Fühlen. Entscheiden.

Fazit

Produktentwicklung ist kein Übergabespiel. Sie ist kein lineares System, in dem man Anforderungen hineingibt und Lösungen herausbekommt. Sie ist ein gemeinsamer Raum, in dem Verantwortung entsteht – wenn man sie zulässt.

Und deshalb ist das beste Produktteam nicht das, das am meisten liefert. Sondern das, das weiss, wofür es liefert.