Multitasking ist ein Mythos – und wie du ihn loswirst

Es gibt eine seltsame Vorstellung, die sich hartnäckig hält: Wer vieles gleichzeitig macht, ist effizient. Wer mehrere Dinge auf einmal erledigt, ist besonders leistungsfähig. Wer immer alles im Blick hat, ist eben „gut organisiert“.

Die Forschung zeigt seit Jahren das Gegenteil – und dennoch beobachten wir es täglich: Menschen, die während Meetings E-Mails beantworten, Slack-Nachrichten verschicken und gleichzeitig versuchen, einem Thema zu folgen. Teams, die Projekte nebeneinander jonglieren, ohne irgendwo wirklich in die Tiefe zu kommen. Führungskräfte, die sagen: „Ich bin einfach am besten, wenn ich alles parallel mache.“

Warum echtes Arbeiten nicht parallel stattfindet – und was Konzentration mit Selbstachtung zu tun hat

Cal Newport nennt Multitasking nicht nur einen Irrtum – sondern ein strukturelles Problem in der modernen Arbeitswelt. Multitasking existiert nicht. Was tatsächlich passiert, ist: unser Gehirn springt. Von Aufgabe zu Aufgabe. Von Gedanke zu Gedanke. Und jedes Mal verliert es dabei ein Stück Klarheit.

„You’re not wired to multitask. You’re wired to think deeply about one thing at a time.“
– Cal Newport

Dieses Springen hat seinen Preis. Es macht uns langsamer, nicht schneller. Oberflächlicher, nicht effektiver. Und vor allem: erschöpfter. Denn jedes Wechseln kostet Energie. Nicht nur für die neue Aufgabe – sondern auch für das Zurückfinden zur vorherigen.

Die Illusion der Produktivität

Der Grund, warum Multitasking so verführerisch bleibt, liegt in einem einfachen Mechanismus: Es fühlt sich aktiv an. Wir haben das Gefühl, ständig beschäftigt zu sein. Aber Beschäftigung ist nicht gleich Wirkung.

Wer während eines Gesprächs Mails beantwortet, hört nicht besser zu – sondern filtert unbewusst das heraus, was weniger Energie kostet. Wer zwischen zehn offenen Tasks pendelt, löst nicht mehr – sondern lässt sich treiben. Und wer denkt, er sei besonders „gut im Multitasking“, überbewertet meist seine Fähigkeit zur Kompensation – und unterschätzt, wie viel Tiefe dabei verloren geht.

Das Problem ist nicht der Wille zur Leistung. Es ist der Verlust an Präsenz.

Warum Fokus radikal ist

Einer der mutigsten Schritte heute ist nicht, mehr zu machen. Sondern: weniger – aber mit voller Aufmerksamkeit.

Wer sich entscheidet, eine Sache wirklich zu Ende zu denken, muss lernen, andere bewusst liegen zu lassen. Das ist keine Schwäche. Es ist Selbstführung. Und oft auch ein Ausdruck von Respekt – gegenüber dem, was man tut. Und gegenüber den Menschen, mit denen man es tut.

Fokus ist nicht Engstirnigkeit. Fokus ist Tiefe. Es bedeutet nicht, andere Dinge zu ignorieren – sondern, sie jetzt nicht zu bearbeiten. Nicht alles gleichzeitig zu tun, sondern das Richtige bewusst.

„When you switch from some Task A to another Task B, your attention doesn’t immediately follow – a residue of your attention remains stuck thinking about the original task.“
– Cal Newport

Wer konzentriert arbeitet, schliesst nichts aus. Er entscheidet, was jetzt zählt. Und schafft damit genau den Raum, in dem etwas entstehen kann, das über das Reaktive hinausgeht.

Multitasking verlernen ist möglich

Der Ausstieg aus dem Multitasking beginnt nicht mit Verboten – sondern mit Bewusstsein. Mit der ehrlichen Beobachtung: Wo springe ich? Wann weiche ich aus? Was tue ich gleichzeitig, das eigentlich nacheinander gedacht werden müsste?

Es braucht Übung, wieder bei einer Sache zu bleiben. Und es braucht ein Umfeld, das nicht sofortige Reaktion mit Kompetenz verwechselt.

Wer es ernst meint mit Konzentration, wird Wege finden: Fokuszeiten, klare Kommunikationszeiten, Rituale des Übergangs zwischen Themen. Kleine Schritte – aber mit grosser Wirkung.

Konzentration ist keine Technik. Sie ist ein Zeichen von Respekt.

Respekt vor der eigenen Aufmerksamkeit. Respekt vor der Aufgabe. Respekt vor dem Gegenüber.

Multitasking ist kein Talent. Es ist eine Notlösung, die in der Tiefe teuer wird. Tiefer arbeiten heisst nicht, alles zu verlangsamen – sondern das Wesentliche nicht zu verlieren.

Und manchmal beginnt das mit einem einfachen Satz: Jetzt gerade – mache ich nur das.