Die gefährliche Abkürzung
Diese Frage klingt banal. Aber sie ist der Unterschied zwischen Aktivität und Wirkung. Marty Cagan beschreibt in Inspired, wie häufig Teams mit guten Absichten an Produkten arbeiten, die nie eine echte Chance haben. Nicht, weil sie schlecht gebaut sind – sondern weil niemand geprüft hat, ob das zugrunde liegende Problem überhaupt relevant ist.
„Was den erfolgreichen Product Manager auszeichnet, ist seine unermüdliche Leidenschaft für das Problem.“
Wer beim Problem beginnt, arbeitet anders. Langsamer vielleicht. Aber klarer. Und langfristig deutlich wirksamer.
Kundenbedürfnisse sind keine Vermutungen
Cagan betont: Gute Produktteams verlassen sich nicht auf Intuition, sondern suchen aktiv nach dem konkreten Schmerzpunkt. Sie hören zu, beobachten, fragen nach. Sie entwickeln Hypothesen – und sind bereit, diese zu verwerfen, wenn sie sich nicht bestätigen.
Ein Problem zu verstehen heisst nicht, es zu erraten. Es heisst, sich tief mit der Realität der Nutzer:innen auseinanderzusetzen. Nicht auf der Oberfläche, sondern im Alltag. Nicht über Personas, sondern über echte Situationen.
„Gute Produktteams verbringen mindestens die Hälfte ihrer Zeit in Discovery, also bei der Arbeit an der Problemseite.“
Diese Haltung ist selten. Denn sie verlangt Verzicht: auf die schnelle Lösung, auf den Drang, sofort loszulegen, auf das Gefühl von Fortschritt durch Machen. Dafür bekommt man etwas Wertvolleres: Klarheit.
Die Lösung entsteht aus dem Problem – nicht umgekehrt
Cagan beschreibt eindrücklich, wie viele vermeintlich gute Ideen scheitern, weil sie keine echten Probleme adressieren. Und wie viele exzellente Produkte entstanden, weil jemand ein Problem radikal ernst genommen hat.
Ein starkes Produkt ist keine kreative Laune. Es ist das Ergebnis von Präzision. Von tiefer Auseinandersetzung. Und von der Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen. Wer zu früh zur Lösung springt, übersieht oft, dass das eigentliche Problem ganz woanders liegt.
„Die meisten Ideen funktionieren nicht. Aber wenn wir lernen, die richtigen Probleme zu verstehen, steigen unsere Chancen dramatisch.“
Produktverantwortung beginnt vor dem ersten Feature
Viele Teams glauben, Verantwortung beginne mit dem Start der Umsetzung. Cagan sieht das anders: Wer Produkte verantwortet, übernimmt Verantwortung dafür, das Richtige zu bauen – nicht nur dafür, etwas zu bauen. Und das Richtige beginnt beim Problem.
Diese Perspektive verändert die Zusammenarbeit. Sie macht aus der Produktentwicklung keine Feature-Fabrik, sondern einen Denkraum. Einen Ort, an dem man erst fragt, bevor man antwortet. Und an dem Klarheit mehr zählt als Geschwindigkeit.
Fazit
Wer Lösungen entwickeln will, muss zuerst Probleme verstehen. Nicht oberflächlich, sondern tief. Nicht im eigenen Meetingraum, sondern mit den Nutzer:innen. Produktentwicklung beginnt nicht mit dem ersten Mockup – sondern mit dem Mut, einen Schritt zurückzugehen.
Nur so entsteht Wirkung. Und nur so entsteht ein Produkt, das nicht einfach gebaut wurde – sondern gebraucht wird.