Warum grosse Würfe riskant sind
Die Versuchung ist gross, gleich alles auf einmal zu wollen. Ein riesiges Lastenheft, ein detaillierter Projektplan, ein umfassendes Release. Auf dem Papier klingt es ordentlich und vollständig. In der Realität endet es meist anders: Anforderungen ändern sich, Annahmen erweisen sich als falsch, und das Projekt wird unübersichtlich.
Grosse Würfe sind riskant, weil sie auf der Illusion beruhen, dass wir von Anfang an alles wissen können. Doch Softwareentwicklung ist immer auch ein Lernprozess. Wenn wir versuchen, alles zu kontrollieren, übersehen wir, dass sich die Welt schneller ändert, als unsere Pläne es erlauben.
Die Stärke kleiner Schritte
Kleine Schritte sind unspektakulär, und gerade darin liegt ihre Stärke. Jeder Schritt ist überschaubar, nachvollziehbar und überprüfbar. Statt Monate im Dunkeln zu arbeiten, bekommt man kontinuierlich Rückmeldung.
Jeder kleine Schritt baut Vertrauen auf. Vertrauen im Team, weil man sieht, dass es vorangeht. Vertrauen beim Kunden, weil er Ergebnisse sieht und Feedback geben kann.
Kleine Schritte verhindern auch, dass Fehler sich unbemerkt aufstapeln. Ein Fehler in einem grossen Wurf kann das ganze Projekt gefährden. Ein Fehler in einem kleinen Schritt ist schnell entdeckt und behoben.
„Kleine Schritte sind nicht langsam, sie sind der schnellste Weg zum Ziel.“
MVP statt Mammutprojekt
Das Konzept des Minimal Viable Product (MVP) ist die praktische Übersetzung dieser Idee. Statt monatelang im Geheimen eine perfekte Lösung zu bauen, liefert man früh eine funktionierende Basis. Ein MVP muss nicht schön sein, aber es muss das Problem adressieren. Erst danach kommt die Verfeinerung.
Das ist wie im Handwerk: Erst baust du den Stuhl, dann kümmerst du dich um die Verzierungen. Wenn der Stuhl nicht stabil steht, nützen die schönsten Schnitzereien nichts.
MVPs ermöglichen es, früh zu lernen. Sie zeigen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Sie sparen Zeit, weil sie verhindern, dass man monatelang an etwas arbeitet, das niemand braucht.
Kleine Schritte beschleunigen Lernen
Inkrementelles Arbeiten ist kein Selbstzweck, sondern ein Lernprozess. Jeder kleine Schritt bringt Erkenntnisse.
- Man erkennt früh, wenn Annahmen falsch waren.
- Man sieht, welche Funktionen wirklich genutzt werden.
- Man spart Nacharbeit, weil Korrekturen sofort einfliessen können.
Ich erinnere mich an ein Projekt, in dem wir eine grosse Funktionalität ursprünglich komplett am Stück planen wollten. Stattdessen haben wir sie aufgeteilt in kleine Iterationen. Ergebnis: Wir haben schon nach zwei Wochen gemerkt, dass die eigentliche Anforderung anders verstanden wurde. Hätten wir den grossen Wurf versucht, hätten wir Monate verloren.
Kleine Schritte beschleunigen, weil sie Feedback frühzeitig erzwingen.
Kleine Schritte machen Projekte stabil
Es gibt noch einen weiteren Aspekt: Kleine Schritte machen Projekte stabiler. Jeder kleine Fortschritt wird getestet, überprüft und integriert. Damit bleibt die Software jederzeit lauffähig.
Bei grossen Würfen sieht man oft das Gegenteil: monatelang nichts Greifbares, dann ein riesiger Merge – und plötzlich bricht alles zusammen. Die Kosten, das Chaos und der Frust sind vorprogrammiert.
Mit kleinen Schritten bleibt die Basis stabil. Selbst wenn ein einzelner Teil fehlschlägt, ist das Projekt nicht gefährdet.
Kleine Schritte als Haltung
Kleine Schritte sind nicht nur eine Methode, sie sind eine Haltung. Mut zur Unvollkommenheit. Statt zu warten, bis alles perfekt ist, liefert man etwas, das funktioniert, und verbessert es danach.
Das erfordert Fokus auf Wirkung statt Perfektion. Wirkung bedeutet: Probleme lösen, Nutzen stiften, vorankommen. Perfektion ist oft nur ein Vorwand, nicht ins Handeln zu kommen.
Kleine Schritte bedeuten auch Verantwortung. Wer kontinuierlich liefert, muss sich ständig Feedback stellen. Das ist unbequem, aber genau darin liegt der Wert.
Schneller zum Ziel
Grosse Würfe sind riskant, kleine Schritte sind wirksam. Sie machen Projekte stabiler, beschleunigen Lernen und schaffen Vertrauen.
Kleine Schritte sind nicht langsamer, sie sind der schnellste Weg zum Ziel.
In meinem Handwerk als Programmierer bedeutet das: Ich plane keine Paläste, sondern baue Baustein für Baustein. Erst das Fundament, dann die Wände, dann das Dach. Und genau so entsteht gute Software: Schritt für Schritt.