Die Störung wirkt kleiner, als sie ist
Wir unterschätzen chronisch, wie lange es dauert, nach einer Unterbrechung wieder in den vorherigen Denkzustand zu kommen. Studien sprechen von 15 bis 25 Minuten, je nach Tiefe der Aufgabe. Und wenn du in dieser Zeit erneut unterbrochen wirst – was oft der Fall ist – fängst du gedanklich nie wirklich an.
Cal Newport beschreibt das als „Attention Residue“ – eine Art geistiger Nachhall, der dich selbst dann noch ablenkt, wenn du längst zur nächsten Aufgabe übergegangen bist.
„When you switch from some Task A to another Task B, your attention doesn’t immediately follow – a residue of your attention remains stuck thinking about the original task.“
Du bist zwar woanders – aber du bist nicht ganz da.
Aufmerksamkeit ist endlich – auch deine
Wir reden viel über Energie, über Zeit, über Geld. Aber kaum über Aufmerksamkeit. Dabei ist sie vielleicht die knappste Ressource, die du als Führungskraft hast. Ohne klare Aufmerksamkeit gibt es keine klugen Entscheidungen, keine tiefe Analyse, keine wirksame Kommunikation. Wer ständig gestört wird, reagiert statt zu gestalten. Und das zeigt sich irgendwann nicht nur in der Qualität der Arbeit, sondern auch in der Kultur des Unternehmens.
Denn Unterbrechungen sind nicht nur ein persönliches Problem. Sie sind ein strukturelles. Wenn Fokus in der Organisation keinen Wert hat, gewinnt immer das Aktuelle. Nicht das Wichtige. Dann gilt: Wer laut ist, setzt sich durch. Wer still arbeitet, wird überholt. Und genau das ist der Anfang vom Ende tiefer Arbeit.
Was unterbrochene Arbeit mit Teams macht
In Teams zeigt sich der Effekt noch deutlicher. Wenn Menschen nicht einschätzen können, ob sie ungestört arbeiten dürfen, bauen sie keine Tiefe auf. Sie lernen, im Reaktionsmodus zu leben – nicht im Denkmodus. Und irgendwann entsteht ein Klima, in dem jeder alles gleichzeitig bearbeitet – und niemand mehr weiss, was wirklich zählt.
Ich habe erlebt, wie sich Teams verändern, wenn sie sich gegenseitig das Recht auf Fokus zugestehen. Wenn eine gemeinsame Sprache entsteht für geschützte Zeiten. Wenn Führung nicht erwartet, dass jede Nachricht sofort beantwortet wird – sondern Vertrauen zeigt, dass gutes Arbeiten auch Zeit braucht.
„The ability to concentrate intensely is a skill that must be trained.“
Und wie jedes Training braucht es Ruhephasen. Wiederholung. Und Schutz.
Die eigentliche Frage ist: Was verliert dein Unternehmen jeden Tag – durch Unterbrechung?
Nicht nur Konzentration. Sondern: Klarheit. Geschwindigkeit in wichtigen Dingen. Tiefe in der Entwicklung. Vertrauen in Selbstverantwortung. All das ist schwer messbar – aber spürbar. Und die Verluste summieren sich. Nicht in einzelnen Pings. Sondern in der langfristigen Unfähigkeit, in Ruhe denken zu können.
Wer das ernst nimmt, wird nicht sofort alles ändern. Aber er wird beginnen, die eigene Rolle darin zu hinterfragen. Wo er selbst unterbricht. Wo er Verfügbarkeit einfordert, die gar nicht nötig wäre. Und wo er selbst durch sein Verhalten zeigt: Tiefe ist hier nicht vorgesehen.
Fazit
Die Kosten von Unterbrechungen stehen in keinem Budget. Aber sie wirken überall. Nicht laut. Aber wirksam. Und sie zerstören genau das, wovon gute Arbeit lebt: Fokus, Präsenz, Zusammenhang. Wer dem nicht begegnet, verliert nicht nur Aufmerksamkeit – sondern Wirksamkeit.