Warum Positionierung mit deinem Produkt beginnt – nicht mit deinem Marketing
Das Problem liegt selten in der Kommunikation. Es liegt im Produkt selbst. Oder genauer: in der Tatsache, dass es nicht bemerkenswert ist.
Seth Godin bringt diese Erkenntnis mit einem einfachen Bild auf den Punkt:
Stell dir vor, du fährst durch die französische Provinz. Wiesen, Kühe, Dörfer. Am Anfang schaust du noch aus dem Fenster. Doch schon nach kurzer Zeit wird alles zur Kulisse. Immer die gleichen Kühe. Immer das Gleiche. Bis plötzlich – mitten in der Landschaft – eine lila Kuh steht. Du reibst dir die Augen. Du hältst an. Du machst ein Foto. Und du erzählst später davon.
Die lila Kuh ist das, was Godin „remarkable“ nennt. Nicht weil sie besser ist, sondern weil sie auffällt. Weil sie das Muster durchbricht. Und genau das, sagt er, ist die einzige Chance auf echte Sichtbarkeit:
„You’re either remarkable or invisible.“
„Remarkable“ meint dabei nicht „besonders gut“. Es bedeutet: bemerkenswert im wörtlichen Sinne – etwas, worüber Menschen freiwillig sprechen. Etwas, das aus der Masse herausragt, ohne sich anzubiedern. Etwas, das nicht nur funktioniert, sondern neugierig macht.
Und genau hier liegt der blinde Fleck vieler Firmen. Denn sie setzen darauf, möglichst korrekt, professionell, verlässlich zu sein. Und vergessen dabei, dass all das heute niemanden mehr überrascht. Wer einfach nur „sehr gut“ ist, fällt nicht auf – weil „sehr gut“ längst zur Erwartung geworden ist. Godin bringt das provokant auf den Punkt:
„The opposite of remarkable is very good.“
Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen ist diese Dynamik oft besonders sichtbar. Das Angebot ist solide, der Service freundlich, die Preise fair. Doch es fehlt das, was hängen bleibt. Das, was Kunden weitererzählen würden. Das, was Aufmerksamkeit erzeugt – nicht durch Lautstärke, sondern durch Eigenart.
Denn das ist die eigentliche Essenz von Positionierung: Mut zur Andersartigkeit. Nicht ein bisschen anders, nicht leicht optimiert, sondern radikal unterscheidbar. Und das verlangt Entscheidungen. Entscheidungen, die wehtun können. Entscheidungen, die bedeuten: nicht für alle da zu sein. Nicht alles anbieten zu wollen. Nicht allen gefallen zu müssen.
„The safest thing you can do is to be risky.“
Wer versucht, niemanden auszuschliessen, wird auch niemandem auffallen. Wer für alle da sein will, wird für niemanden wirklich relevant.
Godin argumentiert, dass genau hier der Unterschied liegt zwischen durchschnittlichem Marketing und echtem Wachstum: nicht besser, sondern anders. Denn je ähnlicher Produkte und Dienstleistungen werden, desto mehr gewinnt nicht der Beste, sondern derjenige, über den man spricht.
Beispiele dafür gibt es – gerade im Mittelstand – erstaunlich viele, wenn man genau hinschaut.
Da ist zum Beispiel der Bäcker, der um 11 Uhr schliesst, weil dann alles ausverkauft ist. Nicht etwa aus Personalmangel, sondern weil alles frisch ist, weil nichts weggeschmissen werden soll – und weil der frühe Schluss Teil des Versprechens ist: Wer Qualität will, kommt rechtzeitig. Diese Idee polarisiert. Und genau deshalb wird sie weitererzählt.
Oder die IT-Firma, die sich ausschliesslich auf Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitenden konzentriert. Während andere skalieren, fokussiert sie – mit einem klaren Versprechen: Wir kennen eure Realität, eure Engpässe, eure Tools. Dieses enge Profil wirkt im ersten Moment riskant, erzeugt aber genau die Art von Wiedererkennung, die Vertrauen schafft.
Beide Fälle zeigen: Es geht nicht darum, laut zu sein. Es geht darum, unverwechselbar zu sein – und diese Unverwechselbarkeit zur Essenz der Positionierung zu machen.
Was sie gemeinsam haben? Sie wollen nicht gefallen – sie wollen auffallen. Und genau deshalb werden sie gewählt. Positionierung beginnt also nicht mit deinem Logo. Nicht mit deinem Elevator Pitch. Nicht mit deiner LinkedIn-Bio.
Sie beginnt mit der Entscheidung, nicht mehr austauschbar sein zu wollen.
Und mit der Bereitschaft, etwas zu erschaffen, das man sich merkt.
Vielleicht ist es Zeit, dich zu fragen: Was wäre deine lila Kuh?